Vom_Stein

Fernando und Familie

Die Regeln der Höflichkeit fordern, dass ich Ihnen zunächst zumindest einen Teil des weiteren Personals meiner Geschichten vorstelle, meine famigila. Fernando Tessieri, mein Bruder, ist wahrhaftig einzig in seiner Art. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn tatsächlich erfinden. Er ist ein so herzensguter Mensch, dass man ihn einfach gern haben muss. Doch das ist bei weitem nicht alles. Er beherrscht sechs Sprachen: Italienisch natürlich und in sämtlichen Dialekten, außerdem Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und sogar Schweizerdeutsch, was nun wirklich kaum jemandem gelingen will, der nicht direkt aus dem Eidgenossenland stammt.
In der Schweiz und in Deutschland hat Fernando in seiner Jugend in Hotels gearbeitet und, wie der Zufall es wollte, seine Frau lolanda kennen gelernt. Er hat‘s drauf, es fällt ihm so zu: Er zieht die Menschen durch seine liebenswerte Art an wie ein Magnet. Und er ist bekannt wie ein bunter Hund. Wenn mein Mann mit ihm in den Alpi Apuani wandern ging, kam es immer wieder vor, dass ganz hoch oben auf dem Monte Corchia, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, wo sich die Wölfe gute Nacht sagen, jemand am Bergkamm auftauchte, stehen blieb und brüllte: »Ciao, Fernando, was machst du denn hier?«
Fernandos komplette Familie ist in dem Hotelbetrieb engagiert. lolanda, selbst eine exzellente Köchin, leitet die Küche und das Personal im Hotel Ombrosa, wo Tochter Sabrina an der Rezeption steht und Sohn Simone (der jüngste von allen) als Saalchef fungiert. Sohn Massimo leitet das Hotel Caravaggio, und im Hotel Flores sind mein Mann und ich. Und das alles fast das ganze Jahr über! Weihnachten und Sylvester geht es los mit großen Banketts; das neue Jahr wird mit Orchester und Tanz bejubelt; ab Januar kommen Gäste zum Karneval in Viareggio, anschließend Reisegruppen und Sportvereine, und zu Ostern sind die Häuser schließlich knüppelvoll. Danach läuft die Saison ohne Unterbrechung bis Ende Oktober oder sogar Anfang November. Ein Monat Urlaub, und wieder beginnt das Rad, sich zu drehen. Fernando macht täglich seine Runde im Speisesaal, tritt zu den Gästen an die Tische und fragt, ob sie zufrieden sind.
Und sie sind es — rundum. In keinem anderen Hotel — entschuldigen Sie das Eigenlob wird so exzellent getafelt, und die Betreuung ist so gut, dass viele Gäste den Eindruck haben, Teil unserer Familie zu sein. Das ist Fernandos Lebenswerk. Er ist jetzt zweiundsiebzig, hat noch vor kurzem die Villa Ombrosa vollständig renoviert, das Hotel 11 Caravaggio hinzugekauft und plant jetzt schon wieder, auch die Villa Flores noch einmal umzubauen. Die Pläne liegen schon auf dem Tisch. Sie sehen, hier wird es nicht langweilig, Zeit für gutes Essen aber haben wir noch immer gehabt!


Quelle: Grazia Tessieri - “A tavola” © 2006 Lardon Media AG, Berlin